Auch ohne TikTok können demokratische Prozesse gestört werden. In Chainpur / Indien wird eine aus Spass in einen Brunnen geworfene Wahlurne geborgen, die unbekannte Täter zuvor gestohlen hatten. (AP Photo/Vikram Kumar)

Fake News bedrohen unsere Demokratie, böswillige Akteure versuchen, mit gezielter Desinformation auf Social Media Menschen zu verunsichern und Gesellschaften zu spalten. Politiker:innen, Lehrpersonen, Wissenschaftler:innen, Eltern und Medienschaffende sind sich einig, dass insbesondere junge Menschen vor diesen gefährlichen Einflüssen geschützt werden sollten, indem man beispielsweise in der Schule darüber spricht und ganz allgemein die Medien- und Nachrichtenkompetenz der neuen Generation stärkt.

Diese Überzeugungen führen dazu, dass heute jede Schülerin und jeder Schüler genau weiss, weshalb Fake News schlecht sind, weshalb man sich nicht via TikTok über die Welt informieren sollte und Zeitungen die verlässlichste Quelle sind, um den politischen Diskurs zu verstehen.

Jugendliche sind nicht das Problem

Gleichzeitig stellen besorgte Forscher:innen an der Uni Zürich fest: «Immer mehr Jugendliche koppeln sich von den traditionellen Nachrichten- und Informationsmedien ab. TikTok, Instagram, Snapchat oder Pinterest werden in immer stärkerem Umfang genutzt und bestimmen den Medienkonsum junger Erwachsener. Eine Konsequenz davon ist, dass Informationen zu Themen aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur vermehrt in den Hintergrund treten, während unterhaltende News an Bedeutung gewinnen.»

Weshalb verstehen diese Jugendlichen nicht, dass sie ihre Mediennutzungsgewohnheiten dringend umstellen müssten? Nun, sie begegnen in ihrer alltäglichen Mediennutzung kaum strategischen Fake News, und der politische Diskurs interessiert sie so wenig wie eine gedruckte Zeitung. Genauso wie das bei mir war, als ich vor gut dreissig Jahren in die Schule ging und die Zeitung nur las, um zu erfahren, wie meine Lieblingsfussballmannschaft gespielt hatte. Wir besorgten Erwachsenen laufen Gefahr, mit Vorstellungen von Mediennutzung und gesellschaftlicher Relevanz die Lebenswelt und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu ignorieren. 

Nachrichtenkompetenz ist mehr als nur können

Nachrichtenkompetenz bedeutet, Nachrichten gemäss den eigenen Bedürfnissen und zur Stärkung des eigenen Wohlbefindens nutzen zu können. Die Nachrichtenkompetenz zu stärken bedeutet deshalb einerseits, jungen Menschen Wissen über die Medien und die Qualität von Information zu vermitteln. So wie das Schulen intensiv und vielfältig tun.

Das ist allerdings nur die halbe Miete. Eine mindestens so grosse Herausforderung besteht darin, die Bedürfnisse und Erwartungen von jungen Menschen an Information und Medien zu verstehen; zu realisieren, dass ein Youtube-Video eines Gamers für sie relevanter ist als eine Analyse des Abstimmungssonntags.

Medien: mehr als Informationsvermittlung

Ja, aber wird an dieser Haltung nicht die Demokratie zugrunde gehen? Nein, wird sie nicht, genauso wenig, wie sie das tat, als ich mehr Lieder von Bob Marley als Bundesräte kannte, oder als meine Schulkolleginnen nach dem Mauerfall vor allem über die hässlichen Jeans der Gastschüler aus der ex-DDR staunten. Erst später realisierten wir, dass diese abstrakten politischen Entwicklungen für uns durchaus relevant und sogar spannend  sein können.

Nachrichtenkompetenz vermitteln bedeutet deshalb auch, Jugendlichen den Zusammenhang zwischen abstrakten gesellschaftlichen Themen und ihrem eigenen Leben aufzuzeigen, ihr Interesse dafür zu wecken und sie für grössere Zusammenhänge zu begeistern. Zudem sollten wir nicht vergessen, dass auch die Mediennutzung von uns Erwachsenen nicht nur der politischen Meinungsbildung und der Stärkung der Demokratie dient.

Unsere Games heissen einfach Samschtig-Jass, und unsere Influencer geben uns keine Make-up-Tipps, sondern bewerten Gourmet-Restaurants und Pauschalreisen.

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