Meinolf Ellers (links), Initiator und Geschäftsführer der UseTheNews gGmbH, und die Leiterin des Social News Desks, Rieke Smit (rechts) stellen dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Juni 2024 das Programm zum „Jahr der Nachricht“ vor. (Foto: UseTheNews gGmbH)
Wie begeistert man junge Menschen für Journalismus? Dieser Frage geht die Initiative #UseTheNews in Deutschland nach. Mit dem «Jahr der Nachricht» hat sie 2024 Desinformation den Kampf angesagt. Mit dem Slogan «Vertraue Nachrichten, die Stimmen statt Stimmung machen» wollte die Initiative vor allem junge Menschen in Deutschland für Fakes News sensibilisieren und die Nachrichtenkompetenz erhöhen. Das Jahr ist um, aber die Mission noch nicht vorbei. Mit Meinolf Ellers, dem Geschäftsführer von #UseTheNews, werfen wir im Interview einen Blick zurück auf das vergangene Jahr und fragen nach, wie es weitergeht.
Meinolf Ellers, bevor wir genauer auf das «Jahr der Nachricht» eingehen, will ich noch kurz über #UseTheNews reden. Die Initiative gibt es seit 2020. Wie kam es zur Gründung von #UseTheNews in Hamburg und was war die Zielsetzung?
Die Initiatoren des Projektes – der Hamburger Senat, das Amt der Medien und die dpa – waren bereits im Gespräch zum Thema, wie die Zukunft von journalistischen Medien aussehen könnte. Seit 15 Jahren veranstalten wir in Hamburg zusammen eine Innovationskonferenz, die «Scoop Camp» heisst. Vor der Gründung von #UseTheNews im Jahr 2019 hatten wir dort als Keynote Speaker den langjährigen Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger, zu Gast. Er hat grosse Sorgen geäussert, was mit den unter 30-Jährigen passiert, da sie als Zielgruppe für Nachrichten und Informationen völlig wegbrechen. Da haben wir uns dann die Frage gestellt, was wir tun können.
Zunächst wollten wir lediglich eine Studie mit dem Leibniz-Institut machen, um herauszufinden, wie es um die Nachrichtenkompetenz von jungen Menschen steht. Wir haben diese Idee aber sehr schnell weiterentwickelt. Zu wissen, dass es vielleicht schlecht steht um die Nachrichtenkompetenz der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, reicht nicht aus. Vielmehr wollten wir gleich eine Struktur ergänzen zu dieser Studie, die es uns ermöglicht, mit den Erkenntnissen konkret Gegenmassnahmen zu ergreifen.
Im fünften Jahr des Bestehens: Welche Zwischenbilanz ziehst du als Geschäftsführer – und was würdest du heute anders machen als damals bei der Gründung?
Wir wussten schon von Anfang an, dass wir aus dem Jahr 2024 etwas Besonderes machen wollen – anlässlich des 75. Jahrestages des Inkrafttretens des deutschen Grundgesetzes. In diesem Jahr wurde die dpa auch 75 Jahre alt, weshalb die Idee naheliegend war. In den ersten drei Jahren von 2020 bis 2023 wollten wir das Projekt erst mal auf ein Niveau bringen, auf dem unsere Partner uns zutrauen, so etwas Vermessenes wie ein «Jahr der Nachricht» auszurufen. Und deswegen ging es in diesen ersten drei Jahren darum, das zu gewinnen, was man vielleicht heute Street Credibility nennt. Das ist uns gelungen, würde ich sagen. In das «Jahr der Nachricht» ist #UseTheNews 2024 als Zwerg gestartet und während des Jahres zum Scheinriesen gewachsen – dank der Zusatzförderung, die wir erhalten haben. Wichtig war, danach nicht wieder auf Zwergenniveau zu schrumpfen. Wir haben viel gelernt und gesehen, wo wir wirksamer werden müssen. Daher würde ich gar nicht viel anders machen. Ein zentrales Learning mit dem Wissen von heute ist aber, dass wir von Beginn an stärker versucht hätten, auf das Radar der Bildungspolitiker und Stiftungen im Bereich Schule und Bildung zu kommen. Das mussten wir uns erst erarbeiten.
Könnte man dann im Umkehrschluss zusammenfassend sagen, Bildung ist der Weg, um junge Leute wieder für Medien zu begeistern?
Es ist die Kombination aus Bildung und Journalismus. #UseTheNews hat meiner Meinung nach eine ganz gute Balance gefunden. Wir haben uns genau an der Schnittstelle positioniert. Das sieht man zum Beispiel daran, dass wir verstanden haben, wie wichtig für das aktive Bespielen der Schnittstellen sogenannte Intermediäre sind, wie Medienpädagog:innen und Medienscouts, also Jugendliche, die besonders qualifiziert sind. Allein zu sagen, wir bringen Journalismus in die Schule und die Schüler:innen hören was über das Thema ändert erst mal gar nichts. Sondern wir müssen in diesem Dreieck zwischen Lehrkräften, Journalist:innen und Jugendlichen unter Beteiligung dieser Intermediäre überlegen, wie wir Jugendliche aktiv mit einbeziehen können.
Anlässlich des 75. Jahrestages des Inkrafttretens des deutschen Grundgesetzes und insbesondere des Artikels 5 zur Meinungs- und Pressefreiheit habt ihr 2024 das Projekt «Jahr der Nachricht» gestartet. Worum ging es konkret bei diesem Projekt?
Als wir die ersten Ideen im Jahr 2020 hatten für dieses Projekt, war unser Leitsatz vor allem unser Claim #UseTheNews, also Jugendlichen vermitteln: «Hey nutze Nachrichten, die sind wichtig für dein Leben.» Was wir da noch nicht ahnen konnten: Durch die Pandemie 2020, den Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine zwei Jahre später und die dramatische Entwicklung im Bereich KI ist Desinformation zu einem Flächenbrand geworden.
Dadurch hat das «Jahr der Nachricht» auch nochmal einen ganz anderen Spin bekommen, weil Anfang 2024 klar war, dass das Thema Desinformation zu einer echten Gefahr für die Demokratie und die Gesellschaft wird. Deswegen auch die Förderung durch das Bundesinnenministerium. Das deutsche Sicherheitsministerium hat uns aus Mitteln der Desinformationsbekämpfung gefördert und nicht aus Mitteln der Journalismus- oder Medienförderung. Es ging um die Frage, welchen Beitrag wir leisten können bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, um Resilienz gegen Desinformation aufzubauen. Das war der Auftrag.
Jugendliche für das Thema Desinformation zu sensibilisieren und ihre Nachrichtenkompetenz zu fördern, war das Hauptziel. Welche Ansätze oder Projekte waren dabei besonders erfolgreich im vergangenen Jahr?
Aus meiner Sicht sind die Newscamps der grosse Überraschungserfolg des «Jahrs der Nachricht». Da haben wir gesehen, dass zwei Dinge absolute Erfolgsfaktoren sind: Das eine ist aktives Mitmachen, möglichst viele auch spielerische Ansätze bilden, in denen Jugendliche sich mit diesen Themen auseinandersetzen können. Und ein weiterer Aspekt war eben die physische Präsenz.
Beim grossen Experiment des Social News Desks haben wir geglaubt, es wird einfacher, mit all den anderen Playern, die sich auf Social Media bewegen, mitzuhalten. Es ist aber kein Selbstläufer, einen Nachrichtenkanal auf TikTok, Instagram, YouTube usw. aufzubauen. Wir wissen jetzt, was Erfolgsfaktoren sind, aber über Nacht mal eben einen reichweitenstarken Superkanal auf Social Media hinzustellen, das ist illusorisch.
Ich glaube das ist ein entscheidender Punkt: Wenn wir versuchen über Social Media Jugendliche zu erreichen, können wir nur bedingt mit den anderen Angeboten mithalten und die Aufmerksamkeit von Jugendlichen erregen. Wenn wir aber in den direkten Dialog gehen, dann können wir plötzlich unsere Stärken ausspielen. Das ist ein wichtiges Learning und das haben uns die Jugendlichen und mittlerweile auch Lehrer und Eltern zurückgespielt.
Wer hat alles mitgewirkt am «Jahr der Nachricht», neben #UseTheNews?
Neben der Finanzierung durch zum Beispiel das BMI (Bundesministerium des Innern und für Heimat) und die Partner war ein anderer wichtiger Teil, eine gute Struktur aufzubauen. Ganz oben angefangen, gibt es ein Kuratorium mit wichtigen Vertretern der Partner, also auch politisch ist es hochrangig besetzt. Dieses Kuratorium hat einen kleinen Leitungskreis. Das ist mal das Erste. Das zweite ist, dass 2022 #UseTheNews in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt wurde. Es gibt im Bereich der Nachrichtenkompetenzförderung eine Menge kleiner Projekte, Stiftungen und Vereine, die alle darunter leiden, dass ihnen eine professionelle Struktur fehlt. Wir, und das ist eben auch der Hintergrund, wenn man eine hundertprozentige Tochter der dpa ist, legen grossen Wert darauf, dass unsere Strukturen hochprofessionell sein müssen. Für jeden Euro, den man uns anvertraut, müssen wir einstehen, müssen Leistungen liefern, müssen auch Bericht darüber abgeben, was wir damit getan haben. Für das «Jahr der Nachricht» haben wir dann eine eigene Projektstruktur aufgebaut. Die bestand aus zwei Units: Der Social News Desk, ein Team aus zehn jungen Leuten, die täglich redaktionell gearbeitet haben und der» Mission Control», die die Gesamtkoordination, Partnerkontakte und das Management der Kampagne übernommen hat.
Was ist dein persönliches Fazit aus dem «Jahr der Nachricht»?
Im Rennen, um den Flächenbrand Desinformation zu löschen und Jugendlichen die Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie im digitalen Informationsraum zurechtkommen, sind wir immer leicht im Rückstand. Und wenn Mark Zuckerberg jetzt ankündigt, bei Meta auf Faktenchecks zu verzichten, wird das den digitalen Raum noch weiter vergiften. Trotzdem ist das Rennen nicht verloren. Einer der wichtigsten Meilensteine im «Jahr der Nachricht» war, dass wir im Oktober die Gelegenheit hatten, auf der ersten Bildungsministerkonferenz der Länder in Deutschland zu sprechen. Das ist die Runde, die hier bei uns alles entscheidet, rund um die Schulen. Die Ehre zu haben, dort über unsere Anliegen zu sprechen und wirklich grosse Unterstützung zu finden, war für mich eines der wichtigsten Signale. Viele Beteiligte haben in diesem «Jahr der Nachricht» verstanden, dass die Wahlergebnisse, wo Jungwähler:innen zu einem Drittel in Richtung Rechtsextremismus abgewandert sind, direkt im Zusammenhang stehen mit dem Verlust von Informationskompetenz und Desinformation.
Das «Jahr der Nachricht» ist vorbei, was bleibt, ist das Whitepaper «Fit für die Demokratie». Eine Version richtet sich dabei an Journalist:innen, die andere an Lehrkräfte. Welche zentralen Inhalte vermittelt das Whitepaper?
Das Whitepaper soll unsere Erkenntnisse und Empfehlungen aus dem «Jahr der Nachricht» festhalten und zusammenfassen. Gleichzeitig dient es als Arbeitsprogramm für die nächste Stufe von #UseTheNews. Uns war immer klar, dass Dümmste wäre, wir beenden «das Jahr der Nachricht» und sagen: «Das wars jetzt.» Es soll weitergehen und wir haben schon im Frühjahr letzten Jahres eine Struktur gebaut, um zu sehen, wie wir parallel zum laufenden «Jahr der Nachricht» schon die Weichen stellen für das nächste Jahr. Also Finanzierung, Partner und Schwerpunkte finden und festlegen.
Und wie geht es jetzt weiter mit #UseTheNews in Deutschland?
Aufmerksamkeit schaffen, das haben wir jetzt erreicht. Jetzt müssen wir wirksam werden. Mit der Kulturministerkonferenz und unseren wichtigsten Partnern, beispielsweise dem Deutschen Schulportal der Robert-Bosch-Stiftung, haben wir erste Ideen und Meilensteine entwickelt für den Zeitraum 2025 bis 2030. Für das Jahr 2030 haben wir uns das Ziel gesetzt, dass jedes Kind in Deutschland, egal in welcher Region, egal in welcher Schule und Schulform, verbindlich Zugang zu einem Unterrichtsangebot zur Vermittlung von Nachrichten- und Informationskompetenz hat. Wir sagen nicht, was in Deutschland immer eine politische Diskussion ist, dass Medienpädagogik zum Schulfach werden muss. Davon halte ich nichts. In Deutschland funktioniert die Bildungspolitik so, dass man sich auf gemeinsame Ziele verständigen kann, aber jedes Bundesland muss die Möglichkeit haben, seinen eigenen Weg zu finden.
Wie soll das Ziel bis 2030 erreicht werden?
Um das zu erreichen, wollen wir 2025 in einem Drittel der 16 Bundesländer eine Handvoll Pilotprojekte machen, die vom jeweiligen Bildungsministerium begleitet werden. Dadurch sollen hoffentlich Leuchttürme geschaffen werden, die von allen anderen Bundesländern wahrgenommen werden, sodass wir dann Best Practices entwickeln können, die auch bundesweit Standards definieren zum Nachahmen und Nachmachen.
Ein anderes Ziel betrifft den Journalismus, da wir uns immer zwischen den Polen Bildung und Journalismus bewegen. Der Journalismus muss sich grundlegend ändern. Grundlegend! Unsere These ist, Informationsmedien aus dem Printbereich können nur überleben, wenn sie sich neu erfinden, und zwar im Bündnis mit den Jungen. Das bedeutet zum Beispiel für einen neuen Journalismus: Ende des Sender-Empfänger-Prinzips. Das lehren uns die jungen Zielgruppen auf Social Media, es wird immer mehr zu einem interaktiven Pingpong auf Augenhöhe. Aktive Teile der Community wollen mitreden, wollen mitmachen, wollen eingebunden werden, dafür müssen wir Angebote machen.
Dafür, ganz konkret, richten wir jetzt in Hamburg das Competence Center Young Audiences ein, das CCYA, das ist neben dem, was ich gerade für den Bildungsbereich gesagt habe, unser zweites konkretes Learning aus dem Jahr der Nachricht, wir brauchen diesen Laborort, an dem wir Jugendliche, Journalist:innen und Produktentwickler:innen zusammenbringen und miteinander arbeiten lassen, um den neuen Journalismus zu entwickeln.